2021-04-30-Person-to-Watch: Mohamad Hayek

Sie erforschen Zukunftstechnologien, entwickeln innovative Technik oder Algorithmen, bringen das Supercomputing, Verfahren der Künstlichen Intelligenz weiter: In loser Folge stellen wir hier junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, von sicher noch mehr von sich hören lassen: Der Informatiker und Ingenieur Mohamad Hayek beschäftigt sich am Leibniz-Rechenzentrum mit Transfer und der Speicherung von Big Data – für das LEXIS-Projekt arbeitete er am Aufbau einer Plattform mit, die den Zugriff auf Forschungsdaten ortsunabhängig ermöglicht. Das erleichtert Supercomputing und sorgt für weitere Vernetzung innerhalb der Wissenschaft. Forscher:innen können leichter zusammenarbeiten.


workflow

Die Grafik zeigt den Workflow, der für den Austausch von Big Data zwischen dem LRZ
und IT4Innovation aufgebaut wurde.


Forschungsdaten aus der Cloud

Zugriff auf Forschungsdaten von überall her und zu jeder Zeit: Was für Fotos, Briefe, Dateien von Internet-Nutzer:innen schon lange eine Selbstverständlichkeit ist, daran wird im High Performance Computing (HPC) fieberhaft gearbeitet. „Für Simulationen und Modellierungen müssen deutlich größere Datenmengen bewegt werden, außerdem ist kein Supercomputer wie der andere aufgebaut“, umreißt Mohamad Hayek grundsätzliche Herausforderungen. „Im Supercomputing ist der Datentransfer deshalb eine deutlich komplexere Sache.“ Seit 2019 widmet sich Mohamad dieser Aufgabe am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ). Um Wissenschaftler:innen in Bayern, Deutschland, Europa und – noch besser – weltweit Terabytes von Forschungsdaten zugänglich zu machen, die auf Servern in Garching lagern, entwickelt der Computer-Spezialist mit seinen Kolleg:innen vom Forschungsdaten-Management Workflows und dafür wiederum Schnittstellen, Software, Werkzeuge. „Ich kann dabei sehr viel lernen für mein Fach und mit neuen Techniken und Tools umgehen“, sagt er. „Das gefällt mir.“

Entspannter forschen in Deutschland

Für diese Entwicklungsarbeit ist Mohamad gut gerüstet: Mit elektronischen Geräten und Computern beschäftigte er sich schon als Junge gern, nach dem Abitur belegt der gebürtige Libanese an der American University of Beirut Informatik, wechselt aber nach den ersten Trimestern zu Elektro- und Computertechnik. „Ich wollte mich fachlich breiter aufstellen“, sagt er dazu. „Informatik war in Beirut auf Software-Entwicklung begrenzt.“ In den überfüllten Kursen und Vorlesungen fühlte er sich außerdem nicht wohl, also erkundet er zusätzlich zur Software noch den Aufbau von Computern und die elektronischen Grundlagen von Netzwerken. Für ein Pflichtpraktikum kommt er erstmals nach Deutschland, die International Association for the Exchange of Students for Technical Experience (IAESTE) führt ihn 2014 an die Technische Universität Dresden. „Die Leute dort wirkten viel entspannter, waren viel mehr an wissenschaftlichen Fragen und an Forschung interessiert“, berichtet er von Unterschieden. „An privaten Universitäten geht es dauernd um Ergebnisse und um die wirtschaftliche Umsetzung von Wissenschaft.“

Am Dresdener Lehrstuhl für Bauinformatik wird der Student aus Beirut mit der Digitalisierung am Bau konfrontiert, ein „interessanter Anwendungsbereich für Informatik und IT-Technik“, wie Mohamad findet. Er recherchiert Industriestandards, erweitert die TU-eigene Software BIMFiT um Funktionen. Und beschließt währenddessen, für das Masterstudium nach Deutschland zu gehen. In der Zeit zwischen Bachelor und Studienstart noch ein Praktikum: An der TU Graz geht es 2015 um Tunnelbau und Stein- oder Bohrmaschinen. Mit Verfahren von Künstlicher Intelligenz baut Mohamad hier ein Programm, das automatisiert die Grenzen von Polygonen erkennt. Wie die Dresdener bescheinigen die Grazer dem jungen Computerfachmann Wissen und Enthusiasmus für seine Arbeit, loben die guten Ideen und Lösungen, zugleich seinen Pragmatismus und die Effizienz: Hayek, so heißt es in einem Zeugnis, ginge „seine Aufgaben ambitioniert und mit einem Lächeln auf den Lippen an“. Und weiter: Er nähme sich die Zeit, „vor der Entwicklungsarbeit zu recherchieren, was er dafür braucht“.

So kennen und schätzen ihn auch die Kolleg:innen am LRZ: „Mohamad ist begeisterungsfähig und stellt sehr viel, sehr schnell auf die Beine, er ist ehrlich und kann wunderbar mit vielen unterschiedlichen Menschen umgehen“, sagt etwa Dr. Stephan Hachinger, der das Team Forschungsdaten-Management am LRZ leitet. „Er versteht neue Systeme sehr schnell, bringt konzeptionelle Ideen ein.“ Mohamad ist kein lauter Mensch, der schnell ein Urteil fällt oder mit Ideen rausplatzt. Er tritt zurückhaltend auf, ist hilfsbereit, beantwortet Fragen ruhig, oft bedächtig und geht gut geplant ans Werk. Das Wetter in Deutschland – für ihn gewöhnungsbedürftig, der Strand in Beirut folglich oft ein Sehnsuchtsort, auch wenn Mohamad am Wochenende gerne wandert und – wenn das möglich ist – Europas Städte entdeckt und sich dabei weiterhin bei IAESTE engagiert und Studierende beim Start in Deutschland unterstützt.

Testprozesse automatisieren

Natürlich beginnt die Suche nach einer passenden Universität mit gründlicher Recherche, mit internationalen Rankings und Empfehlungen. Danach bleiben vier deutsche Universitäten – in Aachen, Hamburg, Kaiserslautern und München – und die Basis für die Entscheidung ist gelegt: „Ich wurde überall angenommen“, sagt Mohamad und lächelt kurz, „aber ich komme aus Beirut, einer Zweimillionen-Stadt, im Vergleich dazu sind Aachen und Kaiserslautern Dörfer, dort hätte ich mich wahrscheinlich nur schwer einleben können.“ Künstliche Intelligenz, Elektronik und IT-Komponenten werden in München zum Schwerpunkt: Als Werksstudent kontrolliert Mohamad bei Intel die Funktionstüchtigkeit von Mobilfunk-Modems und entdeckt dabei sein Forschungsthema. „Interessant zu beobachten war, welche Komponenten oder Softwareelemente wann besonders stör- und fehleranfällig waren“, erläutert er den Kern seiner Arbeit. Anhand von Messdaten und anderen Prüfergebnissen erarbeitet er Strategien für die Automatisierung der Geräteprüfung und trainiert ein eigenes Machine-Learning-Modell: „Mit einem Proof-of-Concept wies ich in der Masterarbeit nach, dass einige Testbereiche der Modemkontrolle automatisiert werden können.“ So ein Ergebnis führt nach bestandenen Prüfungen gewöhnlich zu einer Anstellung, doch Intel will seine Mobilfunksparte verkaufen. Und so startet die berufliche Laufbahn 2018 beim European Advanced Networking Testcenter (EANTC) in Berlin, bei einem mittelständisches Testlabor. Nach gut einem Jahr die Rückkehr nach München ans LRZ: „Berlin ist eine verrückte Stadt“, sagt Mohamad dazu. „Du kannst dort gut feiern, aber arbeiten – das ist in schwierig, anstrengend. Außerdem suchte ich ein Unternehmen, das mir mehr Entwicklungsmöglichkeiten bieten kann.“

Seither beschäftigt sich der Computer- und Test-Spezialist mit dem Austausch von Forschungsdaten und mit dem europäischen Forschungsprojekt LEXIS – das Akronym steht für Large Scale Execution for Industry and Society. Mohamad kümmert sich dabei um die Technik einer Infrastruktur für verteilte Daten. Statt diese, wie ursprünglich geplant, zentralisiert aufzusetzen, schlug er vor den föderierten Aufbau vor – „eine wichtige und richtige Idee“, urteilt Hachinger. „Sie wurde zentral für unser Konzept.“ Gut zwei Jahre nach Projektstart hat das Team Forschungsdaten-Management am LRZ inzwischen webbasierte Schnittstellen sowie die technischen Prozesse entwickelt und programmiert, die beim Austausch von Big Data unsichtbar für Nutzer:innen im Hintergrund ablaufen. Mit Hilfe der Datamanagement-Software Integrated Rule Oriented Data System (iRODS) und von B2SAFE, einem Programm von EUDAT zur Speicherung von großen Datenmengen, ist eine Service-Plattform entstanden, über die Anwender:innen Daten jetzt in der Cloud abrufen, verwalten und auf einem HPC-Computer ihrer Wahl bearbeiten können. Das funktioniert fast so komfortabel wie mit LRZ Sync+Share, Google Drive oder Dropbox  – obwohl im Hintergrund unterschiedlichste Speichersysteme von diversen HPC-Standorten angesprochen werden müssen.

Die Datenplattform internationalisieren und optimieren

Unabhängig vom Standort des Forschenden entscheidet das System, wie die Daten abgerufen, wo sie gespeichert werden und ob dabei eine Sicherheitskopie notwendig wird. Testweise wurde mehrfach und erfolgreich ein Datenvolumen von rund 50 Gigabyte aus den Speichern des LRZ zum tschechischen HPC-Zentrum IT4Innovation und wieder zurück übertragen. Sie blieben dabei unverfälscht, vollständig, original – auch für dieses Ziel mussten Software und Schnittstellen angepasst werden. Und es geht weiter: „Wir verbinden LEXIS gerade mit dem Forschungsprojekt CompBioMed, das mit medizinischen Daten Vorgänge im menschlichen Körper wie den Blutfluss oder Muskelbewegungen simuliert oder aber chemische Wirkstoffe für die Medikamentenforschung abgleicht“, erzählt Mohamad. „Damit können wir versuchen, HPC-Zentren in den Niederlanden, Schottland, Großbritannien und Spanien in LEXIS einzubinden und damit weitere Supercomputer-Architekturen.“ Mit den Erfahrungen der Wissenschaftler:innen wird die Austauschplattform stetig optimiert, gut möglich, dass daraus ein internationaler Standard und Service für die Forschung wächst.

Inzwischen haben Mohamad und seine Kolleg:innen ihr Werk samt der Tools fürs Datenmanagement mehrmals der internationalen HPC-Gemeinde präsentiert und erklärt. Ende des Jahres läuft das LEXIS-Projekt aus. Und dann? Mohamad zuckt mit der Schulter und lacht: Vieles ist möglich – eine Promotion am LRZ, die Fortführung von LEXIS mit anderen Schwerpunkten, neue Forschungsaufgaben oder auch eine neue Stelle: „Ich bin sehr zufrieden hier, tolle Kolleg:innen, viele Herausforderungen, sollte ich wechseln, werde ich auch in Zukunft im Bereich Forschung und Entwicklung arbeiten und Aufgaben wie am LRZ lösen“, meint er. „Ich wollte immer in einem anspruchsvollen Spitzenumfeld arbeiten. Das ist mir gelungen. Intel ist Weltklasse, und das LRZ gehört im internationalen Vergleich zu den führenden, akademischen Rechenzentren.“ (vs)

Mohamad

Mohamad Hayek mit dem Präsentationsposter der LEXIS-Plattform, abzurufen unter:
https://sc20.supercomputing.org/proceedings/tech_poster/poster_files/rpost120s2-file3.pdf

Noch mehr Forschende und Wissenschaftler:innen, die Sie sich merken können:

Sophia Grundner-Culemann, LMU: Kryptografie

Bengisu Elis, TUM: HPC und Computational Science

Daniëlle Schumann, LMU: Quantencomputing