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Digitale Zwillinge programmieren

Technologie:KI & Big Data Forschungsbereich:Environmental Computing

deal.II ist eine Programm-Bibliothek voller mathematischer Werkzeuge für die Berechnung von Strömungen oder für Modellierung von Deformationen geometrischer Körper. Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe hebt deal.II auf Exascale-Niveau und arbeitet an Programmen zur Simulation von Organen.

Das menschliche Herz, die Lunge oder das Hirn berechnen und digital modellieren: Für solche Aufgaben empfiehlt sich das Open Source-Programmpaket deal.II, das auf Basis der Programmiersprache C++ rund 600.000 Zeilen Code umfasst und viele mathematische Werkzeuge zur Entwicklung innovativer Solver für partielle Differenzialgleichungen bietet. Auf deren Basis werden wiederum die Strömungen von Flüssigkeiten und Gasen berechnet oder die Deformation geometrischer Festkörper modelliert: die wichtigsten Grundlagen, um menschliche Organe digital darzustellen und zu simulieren. Martin Kronbichler hat diese Programmbibliothek mitentwickelt, der Mathematiker ist Professor an der Ruhr-Universität in Bochum, und leitet zurzeit ein europäisches, interdisziplinäres Projekt: Mit 12 weiteren Hochschulen und Forschungseinrichtungen, darunter auch das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ), sollen deal.II und damit entwickelte Codes und Anwendungen an die nächste Generation heterogener Supercomputer auf Exascale-Niveau angepasst werden: „Kommen neue Rechner, bedeutet das erstmal viel Arbeit, insbesondere die Anpassung von Codes“, sagt Kronbichler. „Ein spannender Zeitpunkt, an dem wir Mathematiker Entscheidungen, die wir vor 10, 15 Jahren getroffen haben, dahingehend hinterfragen können, ob sie mit heutiger Hardware noch zu effizienter Ausführung führen oder ob wir dafür vielleicht doch ganz neue, andere Wege einschlagen sollten.“

Mehr Energieeffizienz durch passende Algorithmen

deal.II liefert die gemeinsamen mathematischen Werkzeuge für Differentialgleichungen, mit denen verschiedene Arbeitsgruppen des Projektes bestehende Programme und Algorithmen anpassen oder weitere Modelle für die Anwendung bauen. Dabei konzentrieren sich die Forschenden vor allem auf jene Tools zur Modellierung von Organen und zur Berechnung von Strömungen, denn auf Basis von deal.II soll „dealii-X“ entstehen, ein Exascale-Framework zur Erschaffung digitaler Zwillinge des menschlichen Körpers. Im Fokus stehen in der ersten Projektphase die Algorithmen, die auf parallelen Rechnersystemen den Programmablauf steuern, etwa die Reihenfolge der Arbeitsschritte oder den Datentransfer. „Softwareseitig können wir viele Funktionen weiternutzen, 80 bis 90 Prozent der Codezeilen werden weiterhin auf den CPU ausgeführt“, umreißt Kronbichler Aufgaben. „Mit den restlichen 10 bis 20 Prozent bleibt immer noch ausreichend Code und Arbeit, mit ihrer Optimierung kann die höchste Beschleunigung auf GPUs erzielt werden.“

Um schneller an Ergebnisse zu kommen, arbeiten in heterogenen Supercomputern Central Processing Units (CPU) und Graphics Processing Units (GPU), oft kommen noch weitere Beschleuniger hinzu. Deren Miteinander muss neu orchestriert werden, auch um nachhaltiger und effizienter zu rechnen: „Die meisten Simulationen basieren auf vielen unterschiedlichen, mathematischen Zutaten, aber am Ende stehen meistens lineare und nicht-lineare Gleichungssysteme, und diese sind wie gemacht für GPU“, so Kronbichler. GPU sind spezialisiert auf schnelle Rechnungen und Datenverarbeitung, sie benötigen weniger Strom als CPU, die zusätzlich auch Steuerungsfunktionen übernehmen: „deal.II enthält viele Algorithmen, die wir umformulieren können, um etwa Rechnungen und Zugriffe auf Daten, die in den Prozessorkern geladen wurden, neu auszutarieren. In der Regel reduzieren wir den Datenzugriff durch redundante Rechnungen.“ Auf den Datentransfer entfällt beim Supercomputing ein großer Teil des Energiebedarfs, um diesen zu mindern, baut das Team unter anderem auf matrixfreie Operatoren in Krylow-Unterraum- und Mehrgitterverfahren, die klassische Datenstrukturen ersetzen.

Das Potenzial von neuen Supercomputern heben

Generell steigen mit jedem Mehr an Rechenleistung die Ansprüche von Forschenden: Sie wollen in ihren Modellen weitere Parameter berücksichtigen und modellieren. Die Anwendungsspezialistinnen im interdisziplinären dealii-X-Projekt optimieren bereits Programme, mit denen Organe oder Körperfunktionen noch detaillierter simuliert werden können. dealii-X enthält insbesondere Simulationstools für Hirn, Lunge, Gefäße und Leber. Das Projektteam setzt sich daher nicht nur aus Informatikerinnen, Mathematikern und Softwareingenieurinnen zusammen, auch Fachleute aus der Biomechanik sind beteiligt: „Einerseits passen wir Codes an neue Technologien an, andererseits können mit leistungsstärkeren Computern jetzt auch Prozesse modelliert werden, die bisher gar nicht berechnet werden konnten“, sagt Kronbichler. Außerdem sollten bereits bestehende Berechnungen schneller ausgeführt werden können: „Mit jeder Generation von Supercomputern wird es schwieriger, das technische Potenzial heraus zu kitzeln und zu heben.“ Um die komplexere Entwicklung von Codes und Algorithmen noch besser zu verstehen, werden alle Anpassungen und Neuentwicklungen auf den heterogenen Supercomputern des LRZ getestet. Dabei entstehen Benchmarks zur Ausführung der Programme, die weitere Anpassungen ermöglichen, außerdem Erfahrungen, mit denen High-Performance Computer (HPC) für mehr Effizienz umgekehrt an Programme angepasst werden können, etwa indem Taktraten verändert werden.

KI-Modelle ergänzen das HPC

Schließlich geht es bei dealii-X nicht nur um Supercomputing: Einige Arbeitsgruppen beschäftigen sich auch mit Methoden und Modellen für Künstliche Intelligenz. Mit statistischen Berechnungen können mathematisch-physikalische Modelle erweitert werden, außerdem lassen sich KI-Modelle mit Simulationsergebnissen trainieren und liefern dann schneller weitere Szenarien. „Die Komplexität der zugrunde liegenden mathematischen Modelle verhinderte bisher die Übertragung des Simulationswissens in die klinische Praxis“, gibt Kronbichler zu bedenken. dealii-X soll bis Ende 2026 Werkzeuge liefern, mit denen Ergebnisse aus mathematisch-physikalischen Modellen von Organen oder deren digitale Zwillinge in die Entwicklung von Software für Kliniken und Praxen fließt: Dann können digitale Herzen, Lungen oder Gefäße mit persönlichen Daten individualisiert werden und Therapien unterstützen. (vs)