Architektin virtueller Welten
Sie erforschen oder nutzen Zukunftstechnologien, entwickeln innovative Technik oder Algorithmen, bringen das Supercomputing oder Visualisierungen weiter: In loser Folge stellen wir hier junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, die sicher mehr von sich hören lassen. In dieser Folge: Elisabeth Mayer, die sich am Leibniz-Rechenzentrum auf 3D-Anwendungen und Virtual oder Mixed Reality spezialisiert und auch mit Hilfe von Game Engines wunderbare, digitale Welten aufbaut oder Forschungsergebnisse eindrücklich veranschaulicht.
Eine Brücke zum besseren Lernen: Grafik für die Lernapp "Bridge of Knowledge".
Goldenen Stuck bewundern, über farbige Marmor-Intarsien gleiten, alte Gemälde betrachten: In der Kammerkapelle von Kurfürstin Maria-Theresia in Schloss Oberschließheim gäbe es viel zu schauen. Doch der Raum und seine empfindlichen Kunstwerke dürfen nicht mehr betreten werden. Am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) ist das Gesamtkunstwerk daher in virtuellen Welten nachgebaut worden. Mit Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hat das Team vom Zentrum für Virtuelle Realität und Visualisierung (V2C) aus Fotos und Plänen die Kapelle und ihre Altarnischen digital aufgebaut – eines der ersten Projekte, an denen Elisabeth Mayer beteiligt war: „Wir machen Forschungsdaten leichter verständlich fürs Auge und Betrachtende“, beschreibt sie ihre Arbeit.
Die diversen Ergebnisse aus dem V2C sind ein Erlebnis für Interessierte: Ausgerüstet mit einem Head Mounted-Display sowie mit Controllern für die Hände können sie nicht nur durch die Kammerkapelle steuern und darin Details herbeizoomen, sondern – in anderen Anwendungen – durch die Gassen des SuperMUC-NG fliegen oder in den Blutfluss abtauchen: „Virtual- oder Augmented Reality-Anwendungen helfen der Wissenschaft durch Immersion, die Phänomene aus Umwelt und Medizin oder Kunst intensiv zu erforschen und so besser zu verstehen“, erklärt die Spezialistin fürs Dreidimensionale. „Die Herausforderung ist dabei Big Data: Die Frage ist immer, wie wir gewaltige Datenmengen in VR-Anwendungen importieren und visualisieren können.“
Technik und Kunst verbinden
Die Aufbereitung und Visualisierung von Daten ist Teamarbeit und dauert. Am naturgetreuen Modell der Kammerkapelle haben 20 Studierenden mit Dozent:innen und den V2C-Fachleuten länger als ein Jahr gearbeitet. Wissen, Datenanalyse, 3D-Modellierung, grafische und illustrative Aufgaben sowie Programmierung laufen dabei zusammen. Elisabeth hat sich dabei auf die 3D-Modellierung, auf die fotorealistische Abbildung sowie auf die Programmierung von Interaktionsmöglichkeiten spezialisiert. Sie sorgt für wirklichkeitsgetreue Darstellung und dafür, dass Betrachtende sich fließend in den Modellen bewegen, dass in jeder Position Lichteinfall, Schattenwurf, Farben stimmen, dass schnelle Zooms nicht ruckeln. Dafür arbeitet sie mit Bildbearbeitungs- und 3D-Programmen, zudem mit Game Engines, mit denen Online-Spiele entwickelt werden: „Jedes Modell ist anders, bei denen in der Kunst geht es oft um Realitätsnähe und das Erleben von Räumlichkeit, in Fächern wie Biologie, Astro- oder Geophysik eher darum, Informationen zu reduzieren und das Wesentliche herauszuheben“, sagt die Multimedia-Spezialistin. „Dafür müssen Daten von Hand vorbereitet, ergänzt und modelliert und schließlich mit VR-Software die Interaktionsmöglichkeiten beim Betrachten programmiert werden.“ Mit speziellen Brillen können die dreidimensionalen VR-Werke in der LRZ-Cave, eine Projektionsinstallation für Bild und Ton, angeschaut und miot allen Sinnen oder immersiv erlebt werden, mit Controllern für die Hände kann damit sogar gearbeitet und geforscht werden.
Es ist die Mischung aus Programmieren und Gestalten, die es ihr angetan hat: Elisabeth will Brücken bauen zwischen Kunst und Technik, von Forschung zu Öffentlichkeit, ja, auch zwischen Frauen und Technik. Zu ihrem Fach findet sie durch die Filmtrilogie „Herr der Ringe“ und die Frage, wie deren Fantasiewelten und Effekte entstehen. „Dafür wurden neue Welten erschaffen und die Realität erweitert, das wollte ich auch können“, sagt sie. „Ich will Computertechnik mit Kreativität verbinden.“ Nach dem Abitur schreibt sie sich an der LMU für Informatik ein und wechselt, weil zu einseitig technisch, zu Kunst und Multimedia. Über einen Kurs zur 3D-Modellierung kommt sie vor ihrem Bachelor 2017 als studentische Hilfskraft ans LRZ und bleibt nach dem Abschluss 2018 als Mitarbeiterin: „Aus dem Kurs-Projekt sollte eine interaktive VR-Anwendung entstehen, das war genau das, was ich machen wollte, also habe ich mich noch am gleichen Tag beworben.“
Seither ist die gebürtige Kapstädterin noch tiefer in virtuelle Welten eingetaucht, erarbeitet sich weitere Tools und Programme, baut für das LRZ in den Mozilla Hubs Biergarten, Weihnachtsmarkt und Messestand zur Präsentation auf, entwickelt VR-Darstellungen für Kunstgeschichte und übernimmt die technische Projektleitung einer Lern-App : „Bridge of Knowledge“ ist ein Adventure-Quiz, das mit unterschiedlichsten Lerninhalten gefüllt werden kann, die Brücke das zentrale Symbol für den Einstieg in Wissenswelten. Ihre Fähigkeiten hat sie außerdem in viel beachtete, ausgezeichnete Visualisierungen eingebracht. Die neueste, die Darstellung des Blutflusses im Unterarm, sorgt gerade für Furore in der Community des High Performance Computings (HPC). Dafür wurden nicht nur Messwerte und Bilddaten verarbeitet, mit Wissenschaftler:innen vom europäischen Exzellenz-Zentrum CompBioMed und Kolleg:innen entwickelte Elisabeth Arbeitsabläufe und Tools, damit das HPC-Programm HemeLB zur Simulation des Blutflusses mit dem Ray Tracer Intel OSPRay zur Visualisierung auf dem SuperMUC-NG des LRZ ausgeführt werden kann. Beides hilft Forschenden nun bei der Veranschaulichung vergleichbarer Daten. „SuperMUC-NG simuliert mit Programmen wie HemeLB Forschungsdaten, wir machen aus den Ergebnissen VR-Applikationen, mit denen man in Echtzeit interagieren kann.“
Verschiedene Mozillahubs fürs LRZ.
Planung ist alles
Souverän und verständlich erklärt die Medienspezialistin diese Arbeit auf Konferenzen und in Webinaren. Elisabeth Mayer lehrt außerdem seit einiger Zeit an der LMU das 3D-Modellieren und den Umgang mit Game Engines zur Verarbeitung von Forschungsdaten. Sie nimmt Schülerinnen die Scheu vor IT und Technik, indem sie ihnen beim Girls‘ Day zeigt, wie sie aus Smartphone-Fotos dreidimensionale Bilder (Photogrammetrie) oder im Internet eigene 3D-Welten aufbauen. Eine Vielbeschäftigte und Vielinteressierte, die vermittelt und inspiriert: Kolleg:innen schätzen ihre Professionalität, ihre Kenntnisse mit diversen Programmen, außerdem ihre gute Planung und die Ideen. „Es gibt keine Aufgabe oder Herausforderung, der sie nicht gewachsen ist, sie findet immer eine Lösung“, sagt Daniel Kolb, Doktorand und Kollege im V2C. Elisabeth kann mitreden, wenn es um Design, Popkultur, Kunst oder Forschung geht. Kennt sich mit Musik aus, diskutiert Politik, Literatur. Selbst spielt sie Cello, interessiert sich für Klassik und Filmmusik. Zeichnet ins Skizzenbuch wie ins iPad. Mag den Jugendstil, besonders die Arbeiten von Alfons Mucha sowie der niederländischen Digital Artistin Lois van Baalen. „Elisabeth übernimmt ganz selbstverständlich die Organisation und Dokumentation für anstehende Projekte, gibt immer Wertschätzung und ehrliches Feedback und motiviert“, ergänzt Kollege Kristian Weinand. „Schon erstaunlich, wie viele Projekte sie parallel bearbeitet.“
Das wiederum ist ihrer meinung nach eine Frage des „strukturierten Vorgehens“. Zum Gespräch kommt Elisabeth mit Kladde und ersten schriftlichen Informationen. Sie hört konzentriert zu, fragt nach und überlegt zuweilen für Antworten. Und sie macht wirklich viel: Als Fingerübung und um neue Programme oder Arbeitstechniken zu lernen, entwickelt sie auf Game Jams und Hackathons Online-Spiele oder Apps mit. Sie gestaltet und programmiert eigene Medieninstallationen: „Aktuell fokussiere ich mich dafür auf die Übergänge von digitalen Welten und realem Leben und wie beides zusammenhängt.“ Nur ein Masterthema ist dem Multimedia-Talent bislang noch nicht untergekommen: „Es gibt noch kein Fach, das wirklich zu meiner Arbeit passt“, sagt sie dazu und lächelt. „Es passiert aktuell so viel im Bereich VR, am LRZ kann ich mit neuester Technik umgehen, außerdem will ich die Mischung aus Kreation und Technik beibehalten. Master-Studiengänge für meine Erfahrungen sind gerade erst im Entstehen.“ Informatik kommt nicht in Frage, Medieninformatik passt auch nicht so ganz, in Kunst und Multimedia ist (noch) kein Master möglich. So bleibt Elisabeth weiter am LRZ und unterstützt hier die Forschung. „Mag sein, dass Forschende manchmal erstaunt sind, dass ich erst Mitte 20 bin, aber sobald sie mich und meine Erfahrungen kennenlernen, verläuft das Gespräch auf Augenhöhe“, sagt sie. „Ich habe meinen Platz am LRZ gefunden, ich mache hier genau das, was ich immer wollte – VR, 3D-Visualisierungen, Wissenschaft unterstützen und Forschungsergebnisse einem breiten Publikum näherbringen.“ Oder Brücken im Digitalen bauen. (vs)
Elisabeth Mayer, LRZ
Mehr Forschende und Wissenschaftler:innen, die Sie sich merken sollten:
• Amir Raoofy, TUM: Informatik und High Performance Computing (HPC)
• Mohamad Hayek, LRZ: Informatik und Datentransfer
• Sophia Grundner-Culeman, LMU: Kryptografie
• Bengisu Elis, TUM: Computational Science und Supercomputing
• Daniëlle Schumann, LMU: Quantencomputing