2021-05-31-Person-to-Watch: Amir Raoofy

Sie erforschen Zukunftstechnologien, entwickeln innovative Technik oder Algorithmen, bringen das Supercomputing, die Verfahren der Künstlichen Intelligenz oder auch das Quantencomputing weiter: In loser Folge stellen wir hier junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, von sicher noch mehr von sich hören lassen. Der Informatiker und Ingenieur Amir Raoofy promoviert gerade an der Technischen Universität München (TUM) und erkundet dafü, wie parallele Systeme und Supercomputer Daten verarbeiten. Er experimentiert an den Supercomputern des Leibniz-Rechenzentrums sowie am Testfeld BEAST, um die Leistungskraft deren Leistung zu optimieren und zu beschleunigen.

SuperMUC

Racks des SuperMUC-NG am Leibniz-Rechenzentrum, Garching. Foro: V. Hohenegger/LRZ


Tausende Rechenknoten orchestrieren

Auf diese Analogie muss man kommen: High Performance Computing (HPC), meint Amir Raoofy, funktioniere im Grunde wie ein Chor. Für ein Lied müssten Dutzende Stimmen gleichzeitig einsetzen, jede für sich den richtigen Ton treffen, immer im selben Takt singen. „Dieselben Effekte wirken in parallelen HPC-Systemen, hier sollen Tausende Rechenknoten zusammenarbeiten und einen Algorithmus ausführen, das möglichst harmonisch ohne Verzögerungen, im gleichen Takt, ohne Ausfälle“, beschreibt der Doktorand am Lehrstuhl Rechnerarchitektur und Parallele Systeme der Technischen Universität München (TUM) ein Ideal, für das im Supercomputing hart gearbeitet wird. So wie Dirigent:innen Stimmen einzeln oder in Gruppen trainieren, orchestrieren Ingenieur:innen die Arbeit von HPC-Systemen, indem sie die Programmierung von Prozessoren, die Kommunikation unterschiedlicher Komponenten, die Verkabelung sowie die auszuführenden Programme und Anwendungen und vieles mehr verändern.

Auf diesen „harten Teil der IT“ hat sich Amir Raoofy eingestimmt. Der Ingenieur und passionierte Klavierspieler beschäftigt sich mit Sensoren, die Daten zu Funktionen tausender Rechenkerne liefern, Programmiert mit Messaging Passing Interface (MPI) oder High Level Sythesis (HLS) Steuercodes für Prozessoren oder Beschleuniger und erforscht IT-Technik. Er experimentiert an der Testumgebung BEAST des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) und erkundet dessen Supercomputer, die seine Ergebnisse zudem berechnen: „Wir befinden uns im Datenzeitalter, mich interessiert, mit welchen Messwerten oder Informationen ein cyberphysisches System am besten beschrieben oder analysiert werden kann, um seine Arbeit noch besser zu durchschauen, bei Fehlern eingreifen und mehr Leistung erzielen zu können.“ Anhand von Daten aus Gasturbinen und von Kraftwerken untersucht Amir Raoofy seit 2018, wie parallele HPC-Systeme mit Messwerten in Zeitreihen umgehen und wie sie anhand von Mustern Ausfallerscheinungen aufspüren.

Die Technik fürs Supercomputing besser abstimmen

Das klingt alles sehr speziell, aber seine Doktorarbeit „Untersuchung von parallelen Computer-Architekturen bei der Analyse von großen Zeitreihen-Datenmengen“ behandelt eigentlich die Grundlagen der Datenverarbeitung und der Arbeitsweisen von HPC-Systemen. Die Ergebnisse sind sicher für Stromversorger oder Turbinenherstellern interessant, auch bei der Fehleranalyse im Maschinen- oder Fahrzeugbau und überall dort, wo Systeme stetig beobachtet und beurteilt werden, also auch im Supercomputing. Hier könnten Amirs Erkenntnisse zu Leistungsschüben bei der Ausführung von Applikationen führen, vielleicht zu besseren Nutzung der Prozessoren: „Dieses Jahr habe ich die These geschärft, jetzt werde ich sie ausarbeiten und wenn alles gut geht, bin ich nächstes Jahr damit fertig.“

Das wird schon klappen: Amir Raoofys Lebenslauf lässt eine gehörige Portion Zielstrebigkeit, Pragmatismus und Weitsicht vermuten. Eine Folge von Schach? Über dem Strategiespiel, das von seiner Heimat, dem Iran, geprägt wurde, dort in den 1980er Jahren verboten war und heute wieder äußerst populär ist, grübelt er zum Entspannen. Amir Raoofy wird 1990 im südlichen Iran, in Ahwaz geboren, studiert ab 2008 an der Amirkabir Universität von Teheran Maschinenbau und untersucht für seine Bachelorarbeit, wie die Vibrationen von Fahrzeugmotoren kontrolliert und vermieden werden können. „Das beinhaltete numerische Fragen, brachte mich zum HPC und auf die Idee, für den Master ins Ausland zu gehen“, erzählt Raoofy. „Die Technik und auch das technische Niveau im Iran unterscheiden sich stark, in einigen Bereichen steht das Land im weltweiten Vergleich auf vordersten Plätzen, aber in der Informatik bekommst du leider selten Zugang zu Top-Systemen.“

In Nordamerika, Europa und Deutschland spielt die Musik. Hier sind die Masterprogramme kostenlos. An der TUM kombinieren sie Informatik zudem mit Ingenieurswissenschaft, das bietet persönliche Perspektiven. Außerdem leben die große Schwester in den Niederlanden und ein Onkel in Berlin. Und so simuliert Amir 2017 in München für den Master mit semi-impliziten Euler-Methoden Strömungen in Überland-Leitungen. „Deutschland ist ein guter Platz zum Studieren und Forschen“, sagt er und verweist auf die technischen und materiellen Ressourcen, auf die Unabhängigkeit der Wissenschaft. Er bleibt beim HPC, bei der Stromerzeugung und auch bei der Fehlererkennung, in seiner Promotion führt der Ingenieur aus dem Iran alles zur Grundlagenforschung zusammen.

Matrix-Profile fürs Supercomputing instrumentieren

Er selbst beschreibt sich als hartnäckig, krisenfest, lernfähig. Im Gespräch ist Amir humorvoll, optimistisch, witzig. Er lacht gern, denkt über persönliche und politische Fragen manchmal länger nach. „Amir ist immer gut aufgelegt und verbreitet gute Laune“, sagt Dr. Josef Weidendorfer, der am LRZ das Programm „Future Computing“ leitet und das BEAST-Praktikum mitentwickelte, das Amir als Tutor und mit eigenen Forschungsfragen bereichert. Studierende lernen hier neue IT-Technik kennen und sollen diese in diversen Aufgaben ausreizen. Amir kann dabei beobachten, wie sich verschiedene Programmierungen von Prozessoren oder technische Umbauten auf die Datenverarbeitung der Systeme auswirken. Vor allem aber testet und tüftelt der Spezialist immer wieder erfolgreich an bekannten Algorithmen und Codes: So passt er im Forschungsteam für das vom Bund geförderte Projekt „Envelope“ den HPC-Code „LULESH“ auf ein eigens entwickeltes Verfahren zur  Fehlererkennung und -Behandlung an. „Amir ist immer offen für technische Diskussionen und interessiert an technischen Problemen und Lösungen“, lobt Weidendorfer die Zusammenarbeit. „Wenn eine Verbesserungsmöglichkeit besprochen ist, hat Amir sie kurz danach schon umgesetzt und erledigt.“

Seine Schnelligkeit und Ideen schätzen sie auch bei den Projekten TurbO und SensE. Auch dabei geht es um die Auswertung großer Datenmengen, im Speziellen denen von Kraftwerken und ihren Stromlasten. Amir entdeckt dafür Möglichkeiten, Matrix-Profil-Algorithmen, die zwar Zeitreihen nach Mustern durchsuchen, aber auf HPC-Systemen nicht funktionieren, doch auf Supercomputern zum Klingen zu bringen. Es gelingt dem Team, mit seinem Ansatz (MP)N 256.000 von rund 311.000 Rechenknoten oder 86 Prozent der Ressourcen von SuperMUC-NG zu dirigieren: „In unserem Experiment haben wir das schnellste und größte jemals berechnete, mehrdimensionale Matrixprofil durchgeführt“, berichtet Amir nicht ohne Stolz. „Wir erreichten eine projizierte Kernleistung von 1,3 Petaflops.“ Der Bericht darüber bringt dem Team während der Supercomputing-Konferenz ISC 2020 den renommierten Hans-Meuer-Preis ein. „Amir ist äußerst gewissenhaft“, beschreibt Dr. Carsten Trinitis, akademischer Oberrat, seinen Kollegen und Mitarbeiter. „Wenn ich Unterstützung brauche, auch kurzfristig, kann ich mich jederzeit auf ihn verlassen.“ Außerdem diskutiert und unterhält sich Trinitis gerne mit Amir: „Er erzählt Spannendes und Unbekanntes aus seiner Heimat und ist nicht nur auf technische Themen fixiert.“

Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Projekten, preiswürdige Ergebnisse, eine breite Palette von Themen für Lehre und Vorträge: So starten Karrieren in der Forschung. „Ich würde gerne weiter wissenschaftlich arbeiten“, sagt Amir, „und löse dabei gerne numerische Aufgaben, vor allem zu Technik, Systemen und Künstlicher Intelligenz, aus denen beim Supercomputing dann weitere Forschungsfragen entstehen.“ Er wird also auch in Zukunft am Ideal beim Supercomputing tüfteln: Technologien, Algorithmen, Codes so takten, instrumentieren und orchestrieren, damit möglichst viele Rechenknoten eines parallelen Systems gemeinsam an einer Anwendung arbeiten – eben so, wie ein Chor an einem Lied. (vs/LRZ)

Amir

Amir Raoofy

Mehr Forschende und Wissenschaftler:innen, die Sie sich merken sollten:

Mohamad Hayek, LRZ: Informatik und Datentrasfer

Sophia Grundner-Culeman, LMU: Kryptografie

Bengisu Elis, TUM: Computational Science und Supercomputing

Daniëlle Schumann, LMU: Quantencomputing