"Content in Kontext zu stellen"

KCeynowa

700 virtuelle Maschinen in der Cloud und rund zwei Petabyte Speicherplatz: Seit 2007 kooperiert die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) eng mit dem Leibniz-Rechenzentrum (LRZ). In Garching werden nicht nur die Daten der 462 Jahre alten Stabi gespeichert, das Rechenzentrum verantwortet außerdem IT-Dienste und Anwendungen und berät bei Bedarf die Digital-Spezialist:innen der Bibliothek in technischen Fragen. „Wir müssen uns nicht um Themen wie Datensicherheit oder Langzeitspeicherung kümmern, aber gerade diese Backup-Leistungen sind erfolgskritisch für uns“, sagt Dr. Klaus Ceynowa. Im Interview mit dem LRZ erzählt der Generaldirektor der BSB, wie sich die 462 Jahre alte Bibliothek gerade digitalisiert und warum Lesesäle weiterhin für Forscher:innen wichtig bleiben.

Zum Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek gehören 2,5 Millionen digitalisierte Bücher. Welche sind das? Dr. Klaus Ceynowa: Das sind keine Neuerscheinungen oder Zeitschriften zum Ausleihen. Die Stabi gehört weltweit zu den vier Bibliotheken mit den größten Beständen an wertvollsten, unikalen Handschiften, Inkunabeln und historischen Drucken, etwa des 16. Jahrhunderts. Schon 1997 initiierten wir das Münchner Digitalisierungszentrum MDZ und scannen seither seltenes und konservatorisch anspruchsvolles Bibliotheksgut. Das Gros der Digitalisate, 1,3 Millionen mit im Schnitt 300 Seiten, machen urheberrechtsfreie Bücher aus dem 17. bis 20. Jahrhundert aus, die wir seit 2007 im Rahmen des Google-Book-Projekts digitalisieren. Hinzu kommen noch Sonderformate, etwa Kartenwerke und von Künstlern gestaltete Bucheinbände. Die technische Infrastruktur für diese Arbeiten stellt uns das LRZ zur Verfügung, es speichert für uns mehr als 2 Milliarden Dateien oder mehr als ein Petabyte an Daten, unterstützt uns bei der Langzeitarchivierung und dabei, diese Digitalisate für alle online frei zugänglich zu machen.

Was geschieht mit der Fotosammlung der Zeitschrift Stern, die der Gruner & Jahr-Verlag 2019 der Stabi schenkte? Ceynowa: Als größte geschichtswissenschaftliche Bibliothek in Deutschland ist für uns die zeitdokumentarische, journalistische Fotografie sehr interessant. Wir besaßen schon vor dieser Schenkung rund 2,5 Millionen Fotos, etwa von Heinrich Hoffmann, dem persönlichen Fotografen von Adolf Hitler, oder zum Wiederaufbau und zur Nachkriegszeit in Bayern und München. Was die Zahl zeitdokumentarischer Fotos angeht, ist der Stern international die Nummer Eins. Von 1948 bis in die 1990er Jahre war die große Phase der Dokumentarfotografie, der Stern gilt als das Bildgedächtnis von Deutschland, Europa, auch der Welt. Diese Schenkung von rund 17 Millionen Fotos, Negativen, Dias ist ein Glücksfall für uns, wir werden sie in den nächsten 20 Jahren schrittweise digitalisieren.

Digitalisieren Sie eigentlich auch Dreidimensionales? Ceynowa: Für uns sind Schrift und Bild das A und O, aber wir halten auch sehr seltene, alte Globen, Schriftstäbchen oder aber ägyptische Scherben mit Beschriftung vor, die dreidimensional aufgenommen werden. Auch die oft äußerst kunstvollen, geschnitzten und mit Edelmetallen und Juwelen besetzten Relief-Einbände von Handschriften brauchen Sonderbehandlung. Die BSB organisiert und verwaltet zudem Bavarikon, das Online-Kultur-Portal bayerischer Kunstschätze. Hier beraten und unterstützen wir jetzt 142 Partner, also Museen, Sammlungen, Bibliotheken aus Bayern beim Scannen von Skulpturen, Gemälde, Kunsthandwerk. Die Langfristspeicherung der hochaufgelösten Digitalisate, das Runter- und Hochskalieren für unterschiedliche Medienträger, das besorgt wiederum die Technik des LRZ.

Wie digital ist die BSB und wie wirkt hier die Digitalisierung? Ceynowa: Aus einer Bibliothek werden gerade zwei, eine analoge und eine digitale, und beide fordern uns heraus. Wir lösen uns nicht vom Analogen, das gedruckte Buch existiert ja neben dem elektronischen munter weiter. Wir schaffen pro Jahr rund 130.000 neue Bücher an, darunter zunehmend e-Books. Natürlich sind alle Werke elektronisch katalogisiert, mit Metadaten versehen und können so elektronisch genutzt werden. Trotzdem schätzen Wissenschaftler die Präsenzbibliothek und die Arbeit in Lesesälen, wo sie neben wissenschaftlicher Literatur auch einen Ort des Austausches finden. Unsere Aufgabe war und ist, Content in Kontext zu stellen. Dazu bieten wir vor Ort themenorientierte Lesesäle, Zugleich entwickeln wir etwa mit der Stanford University Library Software und Technologie, um virtuelle Ausstellungs- und Forschungsumgebungen zu schaffen, in denen Wissenschaftler unabhängig von ihrem Standort arbeiten und kooperieren können. Dabei stehen wir am Anfang, feststeht – wir werden auch in Zukunft einen zuverlässigen Technologie-Partner brauchen, der sich um Hardware, neue Systeme, Plattformen und Speichervorrichtungen kümmert, eben das LRZ.

Foto: Bayerische Staatsbibliothek/H.-R. Schulz