ORIGINS – Antworten auf existenzielle Fragen

ORIGINS-eROSITA-Shapley-Galaxienhaufen Kopie

Quelle: eRosita/MPE

In 182 Tagen umrundete das Röntgenteleskop eROSITA an Bord der SRG-Raumsonde und in 1,5 Millionen Kilometern Entfernung einmal die Erde. Es lieferte rund 165 Gigabyte an Daten und Millionen von Bildern, hauptsächlich von schwarzen Löchern in Galaxien, aber auch von heißem Gas in Galaxienhaufen sowie in und rund um unsere Galaxie. Galaxien sind die Welteninseln des Kosmos und Orte, an denen Leben seinen Ursprung nimmt. „Galaxien verfügen über ein zentrales, schwarzes Loch, das permanent Materie anzieht und dadurch wächst“, erklärt Dr. Klaus Dolag von der Universitäts-Sternwarte München. „In diesem Prozess werden enorme Energiemengen freigesetzt, die wiederum die Entwicklung einer Galaxie beeinflussen und damit auch die Voraussetzungen zur Bildung von Leben."

Wie entsteht Leben?

Die Daten von eROSITA und des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) sind im Exzellenzcluster ORIGINS hochwillkommen: Hier gehen 120 Arbeitsgruppen aus Astro-, Teilchen- und Biophysik seit Ende 2018 der Frage nach, wie Leben überhaupt entsteht. An ORIGINS sind die beiden Münchner Universitäten, Max-Planck-Institute und die European Southern Observatory (ESO) samt internationalen Forschungspartnern beteiligt. Das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) versorgt die Forschung mit Supercomputing- und Speicherkapazitäten, sein Zentrum für Virtualisierung und Visualisierung (V2C)- und Virtualisierungs-Technik unterstützt das Virtual Reality Lab und das Data Science Lab des Clusters mit professioneller Erfahrung im Umgang mit Daten und Algorithmen: "Wir brauchen Rechenzeit um die  komplexen Zusammenhänge im Universum vom Urknall bis zur Entstehung des Lebens zu verstehen. Numerische Simulationen sind die modernen Arbeitspferde der Astro-, Teilchen- und Biophysik", erklärt Dr. Andreas Burkert, Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und Leiter des Lehrstuhls für theoretische und numerische Astrophysik. Er ist einer der Koordinatoren von ORIGINS. "Das LRZ garantiert den Zugang zu einem der weltweit stärksten Höchstleistungsrechner. Außerdem können wir das vielfältige Angebot von IT-Services des LRZ nutzen."

Ist Leben ein chemischer oder physikalischer Prozess?

Ein Teil der High Performance Computing-Ressourcen sind für das ORIGINS -Cluster reserviert, damit aus Messdaten Modelle und Algorithmen entwickelt werden können. Das Zentrum für Virtualisierung und Visualisierung (V2C) hilft den Forschern, Ergebnisse und Berechnungen in Bildern, Videos oder räumlichen Animationen zu veranschaulichen. Über LRZ-Netze wird telefoniert und gesurft. Das ist bereits gute Tradition seit 2006: Damals startete mit UNIVERSE das erste Exzellenzcluster, das dem Ursprung des Universums nachspürte. Bis 2018 veröffentlichten rund 250 Forscher und 70 Arbeitsgruppen aus aller Welt 4000 Beiträge und 308 Doktorarbeiten. Sie konnten am Ende des Projektes Supernova-Explosionen erklären, von neuen Galaxien berichten, hatten stellare Nukleosynthesen und das Geschehen in schwarzen Löchern erkundet und das winzige Higgs-Teilchen, dazu hochenergetische, kosmische Neutrinos entdeckt. Ein Teil der UNIVERSE-Ergebnisse ist im Deutschen Museum zu besichtigen, dort läuft auch der Film "Ausgerechnet", der am SuperMUC entstand und anschaulich berichtet, was nach dem Urknall vor rund 14 Milliarden Jahren geschah.

Wie setzt sich die Ursuppe zusammen?

ORIGINS führt diese Arbeit fort – neben Teilchen- und Astrophysiker sind nun zusätzlich Biophysiker und Biochemiker beteiligt. "Ist Leben ein unausweichlicher physikalischer und chemischer Prozess, der überall dort stattfinden kann, wo die Bedingungen dafür gegeben sind", nennt Burkert die zentrale Frage. "Um eine Antwort darauf zu finden, benötigen wir jetzt auch die Biophysik und -Chemie." Sie bringt neue Ideen, Modelle, Gedanken und Ausdrucksweisen ins Cluster. Das erste ORIGINS-Jahr sei daher ein spannender Findungsprozess gewesen, erzählt Burkert: "Biologen haben andere Gedankenketten als Physiker, bevor wir zusammenarbeiten konnten, musste das Cluster dafür sorgen, dass alle die Sprache des jeweils anderen Wissenschaftlers verstanden." Als Astrophysiker, der im All nach Signaturen von dunkler Materie sucht, lernte Burkert beispielsweise, dass die Teilchenphysik bereits Methoden bereithält, diese genauer aufzuschlüsseln

Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens legt ORIGINS daher Wert auf interdisziplinäre Forschung: "Wo Phosphor in den Sternen entsteht, darüber haben wir uns in der Astrophysik noch nicht wirklich Gedanken gemacht", gibt Burkert offen zu. Die Teilchen- und Biophysik ergänzt jetzt Wissen. Eine erste Erkenntnis von ORIGINS: Phosphor entsteht in Sternen und wird durch deren Explosionen in die interstellaren Staub- und Gaswolken geschleudert, in denen sich wiederum Planetensysteme und Kometen bilden. Interstellare Wolken sind interessant für ORIGINS, hier vermuten Wissenschaftler noch viel mehr Bausteine des Lebens. Im ersten Jahr von ORIGINS sind bereits mehr als 100 Forschungsbeiträge nicht nur über Sterne, schwarze Löcher oder Galaxien entstanden. Neben der Erforschung des Universums will ORIGINS, das bis 2026 mit insgesamt 45 Millionen Euro der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, die Rezeptur der Ursuppe entdecken, jene unbekannte Mischung aus anorganischen Substanzen, die das Entstehen von Leben ermöglichte. Wenn ihre Zusammenstellung im Labor nachvollzogen werden kann, lässt sich besser erklären, wie sich darin Einzeller und erste Lebewesen entwickelten.

Was berichten Daten vom Leben?

Vom Geschehen im All bis hin zu den mikroskopisch kleinen Verbindungen des Lebens und weiter zu den winzigen atomaren Bausteinen der Materie integriert ORIGINS ein breites Forschungsspektrum, und jede wissenschaftliche Frage produziert über Messungen, Aufnahmen von Teleskopen und Mikroskopen oder Modellrechnungen Daten über Daten. Astro- und Teilchenphysik sind bereits mit Hilfe der enormen Rechenkraft von Supercomputern in die dritte Dimension und in die räumliche Darstellung vorgestoßen. Darin geht es jetzt um höhere Genauigkeit und Auflösung der Darstellungen: „Viele unserer Forschungsbereiche arbeiten mit Big Data und müssen große, multi-dimensionale Daten auswerten und verstehen“, sagt Burkert. Im Cluster arbeiten sie daher auch mit Hilfe des LRZ an einem Data Science Lab für neue Techniken und Methoden, Daten zu erheben, diese zu analysieren und zu verstehen: Die 165 Gigabyte Informationen, die eROSITA vor Kurzem zur Erde schickte, sind nicht nur inhaltlich interessant, an ihnen können zudem Tools zur Verarbeitung und Validierung erprobt werden.