Lern-Bibliothek für dreidimensionale Tierpräparate

Was macht man mit annähernd 600 empfindlichen Präparaten? Bei der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hatten sie sich schon einen Handscanner (Artec Space Spider) zugelegt, um Knochen, Zähne, Organe in digitale Anschauungsobjekte umzuwandeln. Langfristig sollte daraus eine Datenbank entstehen, mit der Studierende lernen können. Dann kam Corona: Und mit einem Mal musste alles sehr schnell gehen. "Das Leibniz-Rechenzentrum hat uns super weitergeholfen und Wege aufgezeigt, wie wir die Scans Studierenden schnell zur Verfügung stellen", sagt Privatdozent Sven Reese. Der promovierte Tiermediziner ließ sich vom Zentrum für Virtuelle Realität und Visualisierung (V2C) des LRZ beraten: "3D-Daten übers Internet zu präsentieren, ist gar nicht so einfach." Inzwischen sind knapp 300 der Präparate eingescannt, rund 40 davon können über die Lernplattform Moodle der Fakultät oder bei Sketchfab fürs Studium abgerufen werden. Mit der Unibibliothek planen die Veterinäre jetzt eine Plattform für dreidimensionale Objekte. Ein Interview mit den 3D-Spezialisten Lea Weil und Kristian Weinand vom V2C wie Digitalisierung und innovative Visualisierung Forschung und Lehre verändern.

Wann und wie begann die Kooperation mit der Tierärztlichen Fakultät?

Lea Weil:Im letzten Winter meldete sich Sven Reese und erkundigte sich, wie man Präparate in 3D visualisieren kann. Ein Scanner, der Farben und Texturen von Haut und Knochen darstellt, war bereits angeschafft, aber wie die virtuellen Präparate den Studenten zur Verfügung gestellt werden sollten, drüber herrschte Unsicherheit. Eine Smartphone-App erschien zuerst als die praktikable Plattform zur schnellen Bereitstellung, angereichert mit Augmented Reality-Funktionen wären die Präparate noch lebensechter erschienen. Allerdings nutzen viele Studierende Smartphones mit unterschiedlichen Systemen und Versionen, das hätte zu Problemen bei Installation und Darstellung führen können. Auf einer Online-Plattform können die Präparate über einen 3D-Viewer mit Computer, Notebook, Tablet oder Smartphone abgerufen werden  in diesem Fall der beste Weg.

Wie findet man solche Tools?

Kristian Weinand:Im Internet, bei Museen, Universitäten und anderen Spezialisten. Wir haben uns Tools wie Verge 3D, Blend4Web, Sketchfab und den Viewer, den das Smithsonian National Museum of Natural History in Washington einsetzt, angeschaut und dabei mit Scans der Tierärztlichen Fakultät experimentiert. Die Darstellung und Interaktion mit den Objekten sind vergleichbar, bei allen kann man die Objekte drehen und wenden. Für die Evaluation haben wir uns daher mit der Ansichtsqualität und Nutzerfreundlichkeit sowie mit den Kosten für die Nutzung auseinandergesetzt. Kriterien, wie die Begrenzung von Zugangsrechten, Datensicherheit und Datenspeicherung spielten außerdem eine Rolle. Weil es durch den Corona-Lockdown schneller gehen musste, empfahlen wir Sketchfab. Die Plattform ist gut etabliert, das Tool einfach zu handhaben, das Hochladen geht schnell und unkompliziert. Sketchfab bietet eine Website mit integriertem Viewer und viele Funktionen, etwa die Beschriftung oder Anmerkungen. Viele Universitäten und Museen publizieren ihre Exponate dort. Allerdings: Sketchfab speichert die Daten in den USA, mit der kostenlosen Version kann jeder alles downloaden. Die Tierärztliche Fakultät hat sich für ein Abo entschieden, um den Zugang zu begrenzen.

Weil:Langfristig wäre eine eigene Plattform praktischer, aber die Entwicklung ist finanziell nicht zu unterschätzen, zumal wenn sie mit den Anforderungen und Wünschen der Studierenden mitwachsen soll. Dann kann auch festgelegt werden, wo die Daten gespeichert werden. So setzt Bavarikon, das Internetportal des Freistaats Bayern, einen eigenen 3D-Viewer ein, um Kunst-, Kultur- und Wissensschätze in 3D zugänglich zu machen.

Scannen und hochladen - funktioniert das einfach so?

Weinand: Nicht ganz, wenn die Anschauungsobjekte schnell geladen sein sollen. 3D-Scans produzieren große Datenmengen, die optimiert werden müssen, sollen Nutzer darauf online und mit mobilen Geräten zugreifen. Die Scans bestehen aus einem feinen Gitternetz, das auf eine grobe Auflösung reduziert werden kann, um Dateigröße und Komplexität zu minimieren. Dadurch gehen aber Details verloren, die sich mit Hilfe von Texturen projizieren und erhalten lassen. Das erfordert aber ein paar Arbeitsschritte mehr und zusätzliche Software. In diesem Fall haben wir Blender empfohlen  ein kostenloses Open-Source-Programm. Es vereint viele Funktionalitäten, was die Optimierung von 3D-Modellen aber erschweren könnte. Für einen unkomplizierten Standard-Workflow haben wir daher eine Videoanleitung erstellt. Die hat prima funktioniert, und alle sind gut damit klargekommen.

Jetzt sind die Präparate bei Sketchfab abrufbar, was könnte man mit ihnen noch machen?

Weil: In Augmented- oder Virtual Reality-Apps integriert, könnten die einzelnen Präparate noch eindrücklicher, spielerischer und freier präsentiert und mit zusätzlichen Informationen angereichert werden. Sie vermitteln einen immersiven Eindruck, so als läge das dreidimensionale Modell auf dem Tisch und man könne damit natürlich interagieren. Das verdeutlicht die realen Größenverhältnisse, zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Beispiel von Beckenknochen unterschiedlicher Tiere. In solchen Apps ließen sich Präparate außerdem virtuell zusammensetzen, etwa die Zähne mit den Kieferknochen. Die Anschauungsobjekte wirken lebensecht, auch das ist ein großer Vorteil beim Lernen. Kombiniert mit Animationen könnten komplexe Zusammenhänge veranschaulicht werden. Da ist eine ganze Menge denkbar.

Nicht nur Tierärzte haben räumliche Anschauungsobjekte, wo könnten Sketchfab und 3D-Viewer die Lehre noch unterstützen?

Weinand:In der Archäologie und Kunstgeschichte werden sie bereits eingesetzt, auch Architektur, Maschinenbau, Biologie und mehr Wissensbereiche arbeiten mit dreidimensionalen Modellen und profitieren von räumlicher Darstellung. An der LMU und der Uni-Bibliothek soll langfristig eine Online-Plattform für dreidimensionale Objekte entstehen. Daraus ergeben sich viele Möglichkeiten für den Informationsaustausch zwischen Universitäten, Lernenden und Interessierten weltweit. Seltene und empfindliche Präparate, die sonst gut geschützt in Universitäten oder Museen aufbewahrt werden, werden damit öffentlich zugänglich und das weltweit. Das ist super.

Weil: Ich bin mir sicher, dass Augmented, Virtual und Mixed Reality-Anwendungen oder Plattformen für 3D-Ansichten, die wir am Leibniz-Rechenzentrum auch aufbauen, Forschung und Lehre enorm bereichern. Die Corona-Schutzmaßnahmen haben die Digitalisierung von Lerninhalten gepusht. Hoffentlich werden die Erfahrungen daraus noch beachtet, wenn sich die Lage wieder erholt. Dann wird es nicht mehr lange gehen, dass angehende Mediziner und Ärztinnen Organe, Knochen und Gewebe von Menschen oder Tieren mit Hilfe einer Datenbrille und einer AR-App räumlich erforschen. So wird Lernen nachhaltiger, eindrücklicher. (vs)