Quantencomputing startet am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in den Alltag: Forschende können seit September dieses Jahres Rechenzeit für Q-Exa, ein Quantensystem auf Basis supraleitender Schaltkreise von IQM Quantum Computers, sowie für einen Quantencomputer von AQT beantragen, der mit einer Ionenfalle und Laser arbeitet. Beide Rechner bieten die Leistung in der größenordnung von 20 Qubits, sind in Hochleistungs-Computersysteme integriert und per Fernzugriff über das Munich Quantum Portal (MQP) erreichbar. „Zurzeit greifen etwa 30 Anwenderinnen aus verschiedenen Projektgruppen auf die Quantenhardware zu“, berichtet Luigi Iapichino, promovierter Astrophysiker, der sich mit seinem Team um das User Enabling und Applications kümmert. „Anwenderinnen finden auf der LRZ Online-Dokumentation ein Template für ihren Antrag, der uns wiederum hilft, ihr Vorhaben und Aufgaben nachzuvollziehen.“
Der Start ins praktische Quantencomputing ist ein weiterer Meilenstein für das LRZ: Im vergangenen Sommer gelang es dem LRZ als einem der ersten Rechenzentren weltweit, zunächst das Q-Exa-System, danach den AQT-Computer mit seinen Höchstleistungsrechnern zu verbinden. Seit Sommer 2024 experimentieren ausgewählte Forschende und andere Test-Nutzerinnen mit beiden integrierten Systemen sowie dem Munich Quantum Portal (MQP), probieren darüber den Systemzugriff, gaben Aufträge auf und nahmen Ergebnisse entgegen.
Deren Erfahrungen und Anregungen flossen zusammen mit den Ergebnissen einer Umfrage unter 25 Master-Studierenden der Informatik, der Physik sowie des Ingenieurswesen in die „LRZ Quantum User Study“ein. Die Ergebnisse wurden erstmals während der IEEE Quantum Week in Albuquerque präsentiert. Die Studie vergleicht kommerzielle Quantencomputing-Services und entwickelt aus dem Feedback der ersten Anwenderinnen sowie der Umfrageergebnissen verschiedene Nutzungsprofile (Personas): „Zum Marktüberblick sammelten wir Feedback zu den Systemen und unseren Tools“, erklärt Muhammad Shahzaib, Informatiker und ebenfalls im User Support. „Wir wollten erfahren, was die Zielgruppe vom LRZ als Dienst-Anbieter erwartet – also mit welchen Fragen oder Aufgaben potenzielle Nutzerinnen zu uns kommen und welche Quantentechnologien sie einsetzen werden oder welche Software wir auf die Systeme integrieren können.“
Es ist eine neue Zielgruppe, das sich das LRZ mit dem Quantencomputing erschließt. Die Systeme werden zwar in Hochleistungsrechner integriert, um sie zu steuern, aber auch um klassische Simulationsrechnungen und generell das High Performance Computing (HPC) zu beschleunigen und um neue Berechnungsmethoden zu ermöglichen. „Doch erstaunlicherweise gehört ein Großteil der Interessenten, die jetzt mit der Quantenhardware arbeiten und dies künftig tun wollen, gerade nicht zur klassischen HPC-Gemeinde“, berichtet Iapichino. „Für uns ist das wichtig, weil diese Community eine größere technische Unterstützung im Umgang mit Supercomputern benötigt als sie im HPC-Bereich gefragt ist.“ Das Team wertet diese Beobachtung auch als Chance – Quantencomputing könnte neue Nutzerinnen ans klassische HPC heranführen.
Laut Studie zeigen neben Studierenden aus dem Umfeld von Informatik und Physik auch Forschungsgruppen aus Naturwissenschaften wie computergestütze Chemie, Medizin, Astrophysik, Klimamodellierung und Quanteninformation Interesse an den Systemen am LRZ. Außerdem visiert das User Enabling und Applications-Team Informatiker und Quantenspezialistinnen aus Startups, Unternehmen, Hochschulen und Forschungsinstituten an, die mit dem LRZ und innerhalb des Munich Quantum Valley (MQV) Quantenhard- und Software entwickeln und spezifische Anwendungen erkunden werden: So entsteht eine diverse Gemeinschaft, die von Einsteigern mit wenigen Vorkenntnissen bis hin zu versierten Spezialistinnen, die bereits auf unterschiedlichen Quantencomputern Erfahrungen sammeln konnten, unterschiedlichste Profile versammelt. Diese Community will nicht mehr nur auf Simulatoren zugreifen, die das LRZ ebenfalls im Angebot hat, sondern mit einem oder beiden hybriden Systemen arbeiten, die das Rechenzentrum bereitstellt. „Wir sprechen hier über eine neue Technologie, die noch nicht ausgereift ist“, gibt Shazaib zu bedenken. „Folglich geht es bei den meisten Anträgen noch um Machbarkeitsstudien, die man vielleicht auch mit anderen Ressourcen erstellen könnte.“ Noch tasten sich Forschende und Entwicklerinnen an die neuen Technologien heran, erkunden Funktionen und Möglichkeiten, die sie für Berechnungen und Simulationen bieten – das auch im Zusammenspiel mit klassischen Computertechniken oder mit Methoden Künstlicher Intelligenz (KI).
Wie von der Nutzungscommunity gewünscht bietet das MQP den Fernzugriff auf die Quantensysteme sowie auf hybride Quanten-Klassik-Rechenmöglichkeiten. In der weltweit wachsenden Quanten-Gemeinde ist Quiskit mit rund 70 Prozent das am häufigsten eingesetzte Open-Source-Framework zur Entwicklung von Software und Applikationen, gefolgt von PennyLane oder Cirq. Diese Schemata basieren auf der Programmiersprache Python und prägen das Toolset, das auf den beiden Systemen am LRZ implementiert ist: Herzstück ist der Munich Quantum Software Stack (MQSS), der verschiedene Software-Komponenten vereint und am LRZ, an der Technischen Universität München sowie mit Partnern des Munich Quantum Valley (MQV) entwickelt wurde. Neben Kompilern und Bibliotheken bietet er beispielsweise Schnittstellen für die Arbeit mit Quiskit, PennyLane oder CUDA-Q sowie fürs Programmieren mit C++. Eine dieser Schnittstellen ist der MQSS Quiskit Adapter, weitere vergleichbare Adapter sind in Planung. Etwa der MQSS Braket Adapter, der den MQSS um eine Impulsunterstützung erweitert. Daneben können Nutzerinnen erste Beispiele für Programmd sowie eine umfangreiche Dokumentation erwarten, die ihnen den Einstieg ins Quantencomputing erleichtert.
Die größten Herausforderungen beim Quantencomputing – das bestätigen die praktischen Erfahrungen der Pilot-Nutzerinnen sowie der befragten Studierenden – liegen bei der noch instabilen Hardware, unklaren Fehlermeldungen, außerdem im Systemrauschen, das die Genauigkeit beim Rechnen beeinträchtigt. Sie bieten viele Ansatzpunkte für Forschung und Experimente, aber auch für den User Support sowie für die nächsten Schritte bei der Weiterentwicklung des MQSS: „Folglich besteht ein deutlicher Bedarf an Dokumentation, Training und Community-Unterstützung“, resümiert Iapichino ein wichtiges Ergebnis der Studie. Neben der Online-Dokumentation zu Antrag und Nutzung hat das Enabling und Application-Team in der frühen Nutzungsphase regelmäßige Zoom-Sprechstunden für Anwenderinnen, die Open Mic Sessions veranstaltet und plant Ähnliches jetzt für den Betrieb. Wer eine Identifikation des LRZ und Rechenzeit an den Quantensystemen beantragt, wird zu einer Mailingliste eingeladen und darüber zu Schulungen und Workshops am LRZ und bei seinen Partnern, den Münchner Hochschulen sowie den Organisationen des MQV, informiert.
In Planung sind außerdem die Dokumentation von Use Cases mit den integrierten Quantensystemen für Forschung und Entwicklung sowie Mentoring- und Trainings-Programme. Wie in der ersten Testphase sollen die Anregungen, Fragen und Probleme der Nutzerinnen in Zusammenarbeit mit den Software- und Hardware-Spezialistinnen des LRZ Quantenteams sofort in die Optimierung von Soft- und Hardware sowie Tools fließen. „Quanten-Hard- und -Software wird nur besser, wenn viele kluge Köpfe daran arbeiten, die Technik zu optimieren oder schneller zu machen“, so Iapichino. „Die Systeme, die wir hier betreiben, weisen noch viele Probleme auf, dafür brauchen wir intelligente Lösungen. Und die finden wir, wenn viele Forschende an diesen Systemen arbeiten.“ (vs | LRZ)